Zwergensagen:

 Neben der Kuckucksklippe stand vor hundert Jahren noch die Zwergenklippe. Hier wohnten in alter Zeit viele Zwerge. Sie erwiesen den Anwohnern viel Gutes aber auch mal Böses. Die alten Leute erzählten sich folgende Sagen:

 

1.  Die Zwerge verborgten an die Westerhäuser oft feines Geschirr für eine Feier  und nach dem Fest wurde es ordentlich abgewaschen wieder vor die Felsenhöhle gestellt mit etwas Speisen als Dank.

Ein junges Brautpaar brachte nach der Hochzeit aber nicht das Geschirr zurück, sondern ließen es schmutzig stehen. Darüber waren die Zwerge so erbost, dass sie ihr Geschirr nicht mehr verliehen.  Aus „Sagen aus der Heimat“, 1912

 

2.  Ein westerhäuser Bauer arbeitete auf dem Feld, da rief eine Stimme: “ Bur, itt wat !“ 

Da er nichts Gutes ahnte, lief er schnell zu seinem Kober, der am Wagen hing. Wie er ihn öffnete, waren daraus das Mittag- und das Vesperbrot verschwunden.  Er musste also hungern und schimpfte gewaltig über die Zwerge, die ihm das Essen genommen hatten.

Nach einer ganzen Weile, er streckte sich gerade bei der Arbeit, rief es wieder: “Bur, Itt wat!“ Wie er aber nun in seine Essenkober fasst, war der ganz schwer und voll mit Braten und gutem Essen und er hört die Zwerge kichern.

                  So waren sie eben, sie neckten und halfen.  

 Aus „Sagen aus der Heimat“ 1912

 

Weitere Sagen zu Westerhausen:

Die Sonnenscheiben vom Königstein


Es war vor vielen, vielen Jahren. Der Teufel hatte gerade seine Teufelsmauer errichtet und wieder zerstört, weil ein Hahn durch sein vorlautes Krähen ihn erschreckt hatte. Der Teufel wusste genau, die Hähne krähen immer bei Sonnenaufgang, also suchte er eine List. Ihm wollte aber einfach nichts einfallen. So flog er deshalb in einer finsteren Mondnacht zu seiner Großmutter auf den Hexentanzplatz. Genau um Mitternacht trat er in die geheime Höhle. Dort saß nun seine Großmutter und strickte sich Strümpfe aus Spinnengewebe.

            Sie kannte natürlich die Probleme des Teufels bereits und lachte. Er bat sie um ihren Rat und Hilfe. „Du Trottel, wie konntest du nur so einen Quatsch machen. Nun schau, wie das aussieht, alles ist jetzt kaputt!“ schrie sie ihn an und deutete auf die langen Felsenreihen. Dann aber schilderte sie ihm ihren Plan.

Der Teufel sollte von jetzt ab genau sieben Tage lang jeden früh vor Sonnenaufgang am Königstein bei Westerhausen warten. Wenn die Sonne aufgeht, sollte er ihr Schattenbild nachzeichnen und schnell ausmeißeln. Dann sollte er ein mit Zaubersalbe eingeschmiertes Seil um die Steinscheibe legen und an der nächsten jungen Birke festbinden.

 

Das sollte er genau sieben Tage lang durchführen, danach wäre dann die Kraft der Sonne gebrochen und er könnte bestimmen, zu welcher Zeit er sie morgens losbindet. Der Teufel jubilierte und drückte seine Großmutter und flog von dannen. So wollte er gern nochmal eine neue Teufelsmauer bauen. Kein Hahn würde dann sein Werk stören und er hätte viel Zeit, mehr als genug! So weit, so gut.

Der Teufel suchte sich also Seile, Werkzeug, Zaubersalbe und wartete auf die nächste Nacht. Schon rechtzeitig saß er auf dem Königstein. Als die Sonne aufging, ritze er mit dem Fingernagel das Sonnenrund in den Fels, meißelte die Form heraus, legte das Seil herum und band die Scheibe fest. Er war richtig froh über sein Werk.

In der nächsten Nacht wachte er wieder, zeichnete die Sonne, meißelte sie aus und band sie fest.

In der dritten Nacht aber stürmte und regnete es, es wollte früh einfach keine Sonne aufgehen. Sie war nicht zu sehen, die nächsten drei Nächte ebenfalls nicht. Der Teufel war ratlos und wartete. Die Westerhäuser hatten von diesem Treiben bisher nur wenig mit bekommen. Jetzt aber staunten sie nicht schlecht. Da waren plötzlich große Scheiben aus dem Felsen gemeißelt. Praktisch, wie sie waren, schlugen sie diese einfach ab. Sie brachten sie ins Dorf und nutzten sie als Mühlsteine. Der Teufel versuchte es noch viele Male. Er bekam aber niemals sieben Sonnenscheiben in einer Woche zusammen.

So sind nun am Königstein immer noch die letzten Scheiben zu finden und viele, viele Mulden, aus denen die Sonnenscheiben herausgelöst wurden. Die meisten Scheiben zeigen daher in die Richtung des Sonnenaufganges.

So konnte der Teufel den Plan der Großmutter nicht ausführen. Die Sonne scheint heute immer noch und die Teufelsmauer wurde nicht wieder errichtet.

 

W. Körner 

 

Die Vogelklippe 

 

 

Dicht neben dem Königstein liegt ein kleiner Hügel mit einer ebenso kleinen Klippe. Es ist die Vogelklippe. Früher war der Berg ohne Baum und Strauch und auf ihm stand eine lange, hohe Felsklippe, auf der gern die Vögel nisteten. Vor vielen hundert Jahren, nach einem langen Krieg, herrschte auch in Westerhausen eine Hungersnot. Die letzten Bauern konnten anbauen, was sie wollten, kaum war die Saat aufgelaufen, waren die Felder am anderen Morgen verwüstet und verkratzt. Es konnte einfach nichts geerntet werden. Auch das Futter für die Tiere wurde knapp. Große Schwärme von schwarzen Vögeln, größer als unsere Raben, zerstörten alles Essbare auf den Feldern. Die Jungtiere wurden nur noch im Stall gehalten, da die Vögel sogar diese angriffen. Sogar die Dorfältesten waren ratlos. Da aber hatten die Hirten Dietrich und Hildebrand eine Idee. Sie wachten mehrere Nächte in der Feldflur versteckt. Dann konnten sie berichten. Die Vögel kommen jede dritte Nacht aus einem engen Loch in einer Klippe und kreisen dann über dem Königstein. Wie auf ein Kommando stürzen sie sich dann plötzlich auf ein Ackerstück und lassen nicht eher nach, bis der letzte Samen oder Keimling gefressen ist. Nun berieten die Dorfältesten wieder, aber sie fanden keine rechte Lösung. Das Zustopfen des Loches hatte keinen Erfolg gebracht. So schickte man einen Vertrauten mit Begleiter nach Thale. Dort wohnte am Bodetal ein alter Bergmann und Kräuterkundiger. Er sollte sich sogar mit den Hexen auskennen. Diesen besuchte sie und nahmen ein kleines Geschenk mit, das er auch annahm.

Er hörte sich die Sache an, überlegte dann eine Weile und gab ihnen dann folgenden Rat mit: „Ihr müsst früh am Morgen, wenn die Sonne aufgeht, an allen Klippen arbeiten, als sollten sie zerschlagen werden und möglichst viel am ersten Tage schaffen“. Die beiden schauten sich verdutzt an, weil die Lösung so einfach schien und dankten und gingen wieder nach Hause.

In Westerhausen wurden sie sehnsüchtig erwartet. Dann folgte der Aufruf an alle, die im Dorf mit helfen konnten.

Mit allem nur möglichen Werkzeug, besonders mit Hämmern und Keilen und Stangen und Seilen zogen sie am nächsten frühen Morgen hinaus.

Sie erreichten die Felsen, kletterten hinauf und keilten und schlugen und sprengten die Felsen, daß es nur so krachte. Es ward dabei kein Vogel gesehen. Die Felsen wurden den Hang hinab gekullert, daß fast kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Nur ein Mittelstück als Restbestand blieb noch erhalten.

Die schwarzen Vögel blieben von nun an weg. Der Felsblock aber und die vielen Steingruben um ihn herum sind noch vorhanden. Dieser große Felsbrocken heißt bis heute die Vogelklippe.

  

W. Körner

 

 

Die Sternblumen
Der Fischer vom Westerhäuser Dieck-See fuhr mit seinem Boot früh am Morgen hinaus, aber es wollte sich kein Fisch mehr sehen lassen. So drehte er ganz unglücklich wieder um. Er machte seinen Kahn fest und ging zum Stall.

          Hier holte er sein Zicklein und ging mit ihm auf den Hügel hinter seinem Haus, den Fischberg. Er setzte sich in den Schatten unter einen Baum und schaute über das Wasser zu den Bergen. Seit Wochen hatte es nicht geregnet, das Gras war verdorrt und nun fehlten auch noch die Fische. Die Sonne stieg noch höher, da sah er im Schatten eines Busches ein klitzekleines Mädchen mit einem grün schillernden Kleid, eine kleine Fee. Sie saß traurig da, schaute auf die trockenen Gräser und Blumen und schluchzte. „Kleine Fee, weshalb weinst du?“ fragte er sie. Sie antwortete: „Wir haben beide Unglück in diesem Jahr, du hast keine Fische mehr und mir fehlen meine Lieblingsblumen von zu Hause, die weißen Sternblumen! Kannst du mir nicht helfen – ich bin doch so klein?“

Der Fischer überlegte nicht lange, er brachte sein Zicklein in den Stall, gab ihm noch einmal Futter. Dann zog er los, mit einem Stock über der Schulter, mit einem Tuch und etwas Brot darin. Sein Hund begleitete Ihn auf dem Weg.

Er ging um den See zu den Bergen, zum Steinholz, zu den Steinbergen, zu den Thekenbergen, aber nirgends fand er die Sternblumen. Erst am Abend, als er hinten am Hoppelberg angekommen war, fand er im Gras die kleinen, weißen Sternblümchen am langen Halm, so wie sie die Fee beschrieben hatte. Er war müde und legte sich gleich daneben schlafen. Am anderen Morgen, als die Sonne gerade aufgehen wollte, lachten ihn die Sternblumen schon an. Vorsichtig nahm er drei Blumen mit Wurzeln und etwas Erde in das Tuch und ging wieder nach Hause, um den ganzen See herum, an den Bergen entlang. Am späten Nachmittag hatte er es geschafft. Er pflanzte die drei Blumen ganz vorsichtig oben am Fischberg in den Schatten des Busches, wo er die Fee gesehen hatte. Dann trug er noch Wasser zum Gießen hinauf und freute sich über die gelungene Hilfe.

Am anderen Morgen ging er wieder mit dem Zicklein un dem Hund auf den Berg und da fand er die kleine Fee. Die freute sich, saß neben den Blumen und lachte: „Danke lieber Fischer, jetzt will auch ich dir helfen“, und klatschte in die Hände. Da fing es plötzlich an zu spritzen und die Sonne verfinsterte sich. Es begann zu regnen und es regnete den ganzen Tag und den nächsten und übernächsten auch noch. Als dann die Sonne wieder schien, war die Welt wie umgewandelt. Die Felder wurden nass, die Bäche füllten sich mit Wasser und die Pflanzen und Gräser wuchsen wieder. Das Wasser im See war wieder frisch und hell. Auch die Fische waren plötzlich wieder da, so daß der Fischer nun auch bald wieder sein Brot hatte.

Seit dieser Zeit wachsen auf dem Fischberg an schattigen Stellen immer noch die niedlichen, kleinen, weißen Sternblumen, auch wenn der See schon lange verschwunden ist und heute Traktoren über die riesigen Ackerflächen fahren.

 

 

W. Körner

Bartram und der Nickelmann

 

Vor vielen Jahren war bei Westerhausen noch ein großer, tiefer Sumpf, das Bruch. Die Bauern versuchten mühsam, das Gras als Futter zu nutzen, aber es war sehr schwer. Immer wieder versanken Wagen oder Tiere im Moor. So bemühte man sich, das viele Wasser abzuleiten. Mit großer Mühe wurden tiefe Gräben gebaut, die Wege über Dämme und Brücken geführt und mit dem Wasser Mühlen angetrieben. Die Bauern freuten sich über jeden Erfolg. Einen aber ärgerte das sehr, das war der Nickelmann.

Er wohnte im Wasser, da wo es besonders klar und tief war. Aus dem Dorf konnte nur einer mit ihm reden, dem gab er sich zu sehen. Das war der alte Kuhhirte Bartram. Er war eine treue Seele. Wenn Bartram mit den Kühen in das Bruch zog, dann kam er auch mit allen wieder heim. Eines Tages begann man im Bruch wieder einen neuen Torfstich anzulegen. Es wurde ein neuer Graben ausgeworfen und das Wasser abgeleitet. Vom Graben aus wurde nun der Torf mit einem Spaten abgestochen und oben auf die Erde gelegt, damit das Wasser herauslief. Die trockenen Torfziegel wurden dann später zusammengeholt und aufgestapelt.

            Der Nickelmann war wütend, weil schon wieder jemand in seinem Reich arbeitete. Er beschwerte sich bei Bartram, der aber sagte nur: „Wat du man witt, da heste doch jliek wedder mehr Platz!“ Der Nickelmann guckte ganz verdutzt, klatschte wütend auf das Wasser, schüttelte den Kopf und tauchte wieder unter. So wurde immer wieder ein Torfstich nach dem anderen begonnen und leer geräumt. Das Torfstechen war eine mühselige und schmutzige Arbeit, den ganzen Tag im kalten Wasser stehen und schippen, aber Torf war wichtig. Er wurde dringend zum Heizen gebraucht, denn das Holz war knapp und teuer. Die Torfbatzen wurden mit Pferdewagen bis in die umliegenden Orte gefahren und verkauft. Durch das Ableiten des Wassers wurden aber auch die angrenzenden Flächen trockener und die Ackerflächen größer.

            Mit der Zeit merkte der Nickelman aber doch, was sich da änderte, er bekam zwar größere Torfseen für sich und seine Fische, aber das Moor wurde kleiner und flacher. In seiner Wut darüber, daß er betrogen wurde, polterte er los und ließ jetzt alles Wasser, das er im Harz bekommen konnte, tagelang wild durch das Bruch und die Bäche in Westerhausen fließen. Alle Dämme und Brücken wurden zerstört, die Mühlräder zerbrachen und die Gärten und Äcker wurden überflutet. Der tagelange Regen tat sein übriges. Aber das Wasser war irgendwann zu Ende. Der viele Regen hatte sogar noch Sand von den Bergen gespült und den Moorteich auf der anderen Seite des Dorfes damit halb zu geschwemmt. Die Bewohner mussten nun alle mit anpacken. Die Dämme und Brücken wurden wieder repariert, die Bachläufe ausgeschippt und die Räder in den Mühlen neu gefertigt und eingebaut. Der Moorteich wurde durch den Sand zu bestem Gartenland. Der Nickelmann aber zog sich wieder zurück an die tiefste Stelle im neuen Mühlgraben. Um zu vermeiden, daß dieser Mühlgraben vom Bruch her wieder zerstört wird, wurde er mit Steinen ausgebaut. Die letzte Strecke, zur Freude des Nickelmannes, sogar in einem Tunnel tief durch den Mühlberg geführt.

Seit dieser Zeit wohnte der Nickelmann nun im Graben vor dem Tunnel der Obermühle, am Mühlenschütz.

Er war so friedlich geworden, daß hier sogar die Kinder bei ihm schwimmen und baden durften.

 

W. Körner

 

 

Die Windmühle am Lästerberg

 

Vor vielen Jahren gab es in Westerhausen nur Wassermühlen. Auf der Westseite des Dorfes, neben dem Lästerberg, liegt ein kleiner Hügel. Direkt davor schlängelt sich der Heimburger Weg, damals ein gut befahrener Handelsweg. Für diesen Hügel hatte sich nun ein Windmüller um den Bau einer Windmühle beworben. Dem Landesherrn war es eben nur recht. So bekam er doch wieder etwas mehr Geld in seine Kasse. Die Wassermüller aber schimpften, jeder Bauer durfte nur zu einer bestimmten Mühle fahren! So würden ja alle noch weniger verdienen! Dem Windmüller aber war das egal. Er ließ sich eine kleine Windmühle bauen, brauchte keine Gräben zu erhalten, den Wind gab es kostenlos und seine Mühle war neu, was sollte also passieren? So bot er seine Leistungen an, gut und billig. Schon kamen die ersten Mahlgäste. Vorbeifahrende Händler verkauften ihm Korn und er verkaufte ihnen Mehl. Das ganze geschah oft heimlich, um nicht noch weiteren Zorn zu wecken.

Mehrfach kam abends auch ein finsterer Geselle, brachte Korn, nahm Mehl mit, redete wenig und verschwand. Er kam immer öfter und wollte mehr. Der Müller war anfangs erstaunt und erfreut, aber irgendetwas war ihm daran nicht geheuer.

Es war wieder einmal spät abends, im Dämmerlicht. Plötzlich war lautes Wagenquietschen und Hufgetrappel zu hören. Der finstere Kerl fuhr vor und schob mit leichter Hand 10 große Sack Korn in die Mühle und verlangte sofortige Arbeit. Der Müller erschrak. Nachts durfte er doch nicht mahlen! Der Finstere blieb dabei und der Müller, der schon einen harten Tag gearbeitet hatte, begann.

Der finstere Kunde fuhr weiter in die Nacht. Punkt 12 Uhr in der Nacht war er wieder da. Der Müller hatte gerade erst die Hälfte gemahlen, da polterte es und der Mitternachtsgast stand in der Mühle und schrie und tobte. Dann befahl er dem Müller, das restliche Korn in den Trichter zu schütten, griff in das Räderwerk und ließ die Mühle rasen. Das Mehl quoll heiß aus der Mühle, die Steine glühten und plötzlich wurden aus dem letzten Sack Korn Goldstücke gemahlen. Sie kullerten aus dem Schütter und rollten in der Mühle umher. Er nahm, was er raffen konnte, warf es auf den Wagen und raste weiter in die Nacht. Der Müller saß kreidebleich in der Ecke, suchte dann die ganze Mühle ab, aber er fand kein einziges Goldstück mehr. Gegen Morgen aber kam ein schweres Gewitter mit Sturmwind auf. Ein Blitz traf die kleine Mühle und sie brannte vollkommen ab. Der Müller lief verwirrt und schreiend durch das Dorf. Keiner glaubte ihm seine Geschichte. So zog er dann weiter, ohne Lohn und ohne Brot, in einen anderen Ort. An dieser Stelle wurde nie wieder eine Windmühle gebaut.

 

 

W. Körner

 

Die Zauberhöhle am Königstein

 

Den Königstein kennt jeder, der in Westerhausen  wohnt oder aufgewachsen ist. Hier gibt es auf der Nordseite, kurz hinter dem kamelförmigen Kopf, eine besondere Stelle.

Ein Rundbogen in der Form einer Tür ist hier in den Fels gemeißelt. Reste von einigen Stufen führen bis an diese Stelle. Vor vielen hundert Jahren war diese Stelle sehr markant und wurde immer in Ordnung gehalten.

Es gab dazu die folgende Sage:

Ein Sonntagskind im Alter von genau 12 Jahren soll zu seinem Geburtstag mit einem Strauß frisch gepflückter Tausendschönchen zum Sonnenaufgang hier vor der Tür stehen. Sobald der Schatten der Blumen auf die Tür fällt, wird sich die Tür öffnen. Dahinter führt eine lange Treppe steil hinab bis in einen Keller. Hier liegen die verborgenen Schätze dieses geheimen Berges, denn hier wurde einst ein König begraben.

Nur richtige Sonntagskinder können diese Schätze sehen und dürfen sich drei Stück wählen und als Geschenk behalten. Viele haben es schon probiert. Es wurde versucht, diese Tür mit Gewalt zu öffnen. Es geht einfach nicht, sie ist verzaubert. So oft man es probierte, sie war, ist und bleibt aus Fels. Eines Tages aber kam doch eine Mutter auf die Idee, ihrem Kind und sich für die Zukunft  das Leben etwas zu erleichtern.

Sie hatte eine Tochter, ein Sonntagskind. Der Geburtstag fiel auf den Frühsommer, so daß es Tausendschönchen gab. Die Frühsonne fiel auch schon bis auf die geheimnisvolle Tür. Die Mutter hatte schon alles erkundet. Sie redete und versuchte das Kind zu überzeugen. Das Mädchen hatte eine Riesenangst. Die Mutter aber redete auf sie ein. So gingen sie dann am besagten Tage in aller Frühe auf den Berg. Das dürre Gras war noch feucht vom Tau. Brombeerzweige kratzten an den Füßen. Langsam schob sich die Sonne am Horizont empor und die ersten langen Strahlen suchten ihren Weg. Das Mädchen hielt krampfhaft den am Weg gepflückten Strauß in der Hand und trat zögerlich vor den Torbogen. Der Schatten der Blumen fiel auf die Tür, der Felsen knarrte und bebte und die Tür drehte sich langsam nach innen auf. Das Mädchen aber blieb zitternd stehen. Die Mutter stieß jetzt von hinten und sprang mit in die offene Tür. Beide stürzten fast die Treppe hinunter bis in der Keller. Er war hell erleuchtet. Sie sahen die prächtigen Schätze, Ringe, Ketten und Edelsteine glitzern. Die Tochter blieb versteinert stehen, die Mutter aber jubelte und stopfte sich den mitgenommenen Beutel voll und wollte eiligst wieder mit der Last enteilen. Jetzt aber knarrte und krachte der Felsen noch stärker. Es wurde stockdunkel in der Höhle. Das Mädchen fiel über eine Kiste auf den Boden und verlor die Besinnung.

 

Im Orte aber merkte man von dem Ganzen nichts. Die Mutter hatte vorher keinem etwas davon verraten. Es klang im Dorfe so, wie ein entferntes Gewitter oder Wetterdonnern. Das Mädchen erwachte wieder und fand sich plötzlich auf der Nordseite des Königsteines mit dem Blumenstrauß in der rechten Hand und einem kleinen blauen Edelstein in der linken. Es suchte die Mutter, es suchte die Tür - nichts war mehr da. Die Mutter ward nie wieder gesehen. Die Tür ist seit diesem Tag immer noch sichtbar, aber sie bleibt verschlossen. Ein tiefer Riß von oben durch den ganzen Fels bis auf diese Tür hat sie für immer verriegelt. Das Mädchen aber sprach zu keinem über diese Sache und behütete den Stein als Erinnerung. Die Nachbarin kümmerte sich um das Kind und versorgte es, bis es erwachsen war. Irgendwann später heiratete das Mädchen und zog in ein anderes Dorf.

 

W. Körner